Der Teppich:
eine autobiografische Geschichte

Teppich autobiografisch
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Es war einmal, im letzten Jahrhundert…

Heute nehme ich dich mal mit in mein persönliches Nähkästchen und erzähle dir eine Geschichte von einem Teppichkauf  aus den Anfängen meiner Ehe. Sie hat ein bisschen was mit Kommunikation zu tun und mit den Themen, mit denen sich jedes Paar unbewusst herum schlägt.

Meinen Mann kenne ich schon seit meinem 15. Geburtstag und ich werde nächstes Jahr schon 60. Das sind nun über 45 Jahre. Fast ein halbes Jahrhundert….

Wir sind zusammen seit ich 18 bin und haben geheiratet, da war ich  Anfang 20. Das ist nun schon bald 40 Jahr her. 

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Ich war mit dem kompletten Inventar aus meiner zwei- Zimmer Studentenbude aus Bayreuth zu meinem Mann ins Ruhrgebiet gezogen, wo er seine Familie hatte und seine Arbeitsstelle. 

Er zog seinerseits von Aachen, seinem Studienort, zurück in die alte Heimat. Auch er hatte Mobiliar für zwei bis drei Zimmer dabei.

So zogen wir mit Mobiliar aus vier bis fünf Zimmern in eine drei Zimmer Küche Bad – Wohnung.  

Wir hatten nicht gelernt, unsere Möbel zu entsorgen oder zu verkaufen, um uns gemeinsam komplett neu einzurichten. 

Es war in unseren Familien noch üblich, dass man sich damit einrichtete, was da war. 

Es war also von Anfang an sehr vollgestopft bei uns, denn ich war tolerant und wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, meinen Mann darum zu bitten, auf seine geliebten Möbel zugunsten meiner Möbel zu verzichten. 

Ich meinerseits hing sehr an meinen Möbeln, weil sie mir ein Stück Heimat waren und teilweise auch an mein Herkunftsfamilien-Zuhause erinnerten. 

Also brachten wir alles unter, was wir mitbrachten. Es war dadurch zwar eng, aber auch urgemütlich und wir fühlten uns sehr wohl in unseren ersten eigenen vier Wänden.

Ein Teppich, was sonst?!?

 

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Vor dem Einzug benötigten wir Teppichboden.

Keiner von uns wäre jemals damals auf die Idee gekommen, was anderes als  Teppichboden auf den Boden zu legen. 

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So kannten wir es jeweils von zu Hause her. Wir fuhren damals also – wie es für uns üblich war – zum Baumarkt unserer Wahl, wo man früher noch Teppiche als Meterware günstig kaufen konnte.

Ein riesengroßes Areal mit vielen „Riesenrädern“ voller Teppichbodenrollen machte uns die Auswahl nicht  leichter. 

Irgendwann war es für meinen Mann klar, dass er eine dunkelbraun – orange- beige melierte feine Schlingenware kaufen wollte: gut, strapazierfähig, preiswert.

 

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Ich wiederum wollte es gerne edel und schick. 

So wollte ich einen hellen Berberteppichboden aus Wollqualität kaufen, der natürlich auch noch erheblich teurer war. 

 

Mein Mann und ich standen sage und schreibe sechs Stunden vor diesen Teppichrollen. Ließen uns erst den einen Teppich zeigen und dann den anderen,  wir prüften die Qualität und diskutierten alle Für und Wider. 

So ging es eine ganze Zeit hin und her und mehrere Verkäufer hatten uns  schon komplett aufgegeben, weil wir Raum und Zeit um uns vergaßen, um auszuhandeln, welcher Bodenbelag nun in unser trautes neues Heim einziehen durfte.

Der Teppich:
Die Grundlage, auf der man steht.
Der Teppich:
mehr als nur ein Einrichtungselement. 
Der Teppich:
Die Basis der Beziehung im übertragenen Sinn. 

 

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Jetzt ist alles vorbei!

Nach der Eheschließung war ich nun plötzlich angekommen auf dem rauen Boden der Tatsachen.

Es ging nicht so, wie ich es kannte und gewohnt war.
Es war sperrig und es traf mich völlig unvorbereitet.
Wie konnte es in meiner neuen Bleibe anders sein als zuhause, so wie ich mein ganzes Leben eingerichtet war?

 

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Während wir beide völlig „von der Rolle“ waren und versuchten, „auf dem Teppich“ zu bleiben, während wir alle möglichen Teppiche stundenlang vor uns hin und her rollen ließen, konnten wir uns leider nicht wirklich auf einen Teppich einigen. 

Für mich war es der Schock meines Lebens. 

Ein Zurück gab es nicht mehr! 

WIr waren ja schon verheiratet! Wir furchtbar für mich! 

Es ging nicht so, wie ich es für richtig hielt. 

Wie hätte ich denn bitteschön leben können in einem Teppich, denn ich abscheulich fand und den ich tagtäglich hätte sehen müssen? 

Meinem Mann ging es glaube ich nicht viel anders. 

 

Bis dass der Tod uns scheidet oder unser Geschmack im Hinblick auf die Auswahl des Teppichbodens?

Nein, dieses Erlebnis der dritten Art war sicherlich kein Scheidungsgrund, doch ernüchterte es mich sehr und schubste mich unzart runter von meiner Wolke 7  1/2 auf Wolke 5. 

 

Nun, wir haben schlußendlich nach quälenden, gefühlten 5-6 Stunden vor diesen Teppichrollen einen Kompromiss gefunden: Ins Wohnzimmer kam ein Teppich in Berberqualität, allerdings nicht in Wollweiß, sondern in Rehbraun. 

Wegen der besseren Drecktoleranz..

In den Flur kam die Schlingenware, die mein Mann sich wünschte. Die kam dafür auch noch ins Arbeitszimmer.

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Der Teppich – Schock saß tief. Bei beiden. Mit so viel Sturheit hatte mein Mann sicherlich nicht gerechnet und ich hatte es auch noch nie zuvor erlebt, dass er nicht meiner Meinung ist.

Was war denn eigentlich passiert, dass wir beiden so vehement auf unseren  jeweiligen Teppich bestanden?

Und wie ist es uns fortan gelungen, gemeinsam einzukaufen, ohne dafür noch einmal so viel Lebenszeit zu vernichten?

Nun, es ging doch eigentlich gar nicht um diese blöden Teppiche.

Es ging ums Prinzip!

Und um die eigene Identität und Herkunft. 

Und es ging um Macht. 

 

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Jeder hatte nämlich das ausgesucht, was er von zu Hause her kannte und für bewährt erlebt hatte:
Bei mir den Berber, bei meinem Mann die Schlingenware. 

Damals hatte jeder zu Hause Teppichboden liegen. 

Später erst kam das mit den Steinfliesen oder den Holzböden auf. 

Wir kamen also gar nicht auf die Idee, was anderes auszusuchen, als das, was wir von zu Hause aus kannten:

Also Teppichboden. 

 

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Die Herkunftsfamilie

Wir liebten unsere Herkunftsfamilien sehr und es wäre mir wie Verrat an der eigenen Sache vorgekommen, wenn ich auf irgendwas verzichtet hätte, das mich an zu Hause erinnert. Bei meinem Mann war es ähnlich. 

Wir haben beide natürlich nicht gelernt, über kritische neuralgische Situationen im Nachklang zu reden und die Situation komplett aufzuarbeiten. Ich hatte fortan mein Teppich-Trauma. Ich vermied es, mit meinem Mann gemeinsam einzukaufen ,und er vermied es ebenfalls. 

Erst später lernte ich, wie ich die brisanten Themen ansprechen kann, ohne dass ich befürchten muss, falsch verstanden zu werden oder dass es zu sonstigen Problemen führt. Damals haben wir das Ganze tot geschwiegen. Wir wussten es nicht besser. Viel zu viele Menschen wissen es leider nicht besser.

So, wie wir es auch damals nicht besser wussten. 

Das stelle ich in meinen Coachings immer wieder fest. 

Es wäre wichtig für uns gewesen, bereits das zu wissen, was wir heute wissen. 

Unwissenheit führt oftmals dazu, dass wir eigene Vermutungen und Rückschlüsse anstellen, die uns unser Herz eher schwer machen.  Wir verheddern uns in wilden Spekulationen und Interpretationen, anstelle einfach mal zu fragen, wie der Partner die Situation erlebt hat und wie es ihm damit ging. 

 

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Wir haben das Ganze irgendwie tot geschwiegen. Doch bewusst oder unbewusst gab es großes Kopfkino bei mir:

Was, wenn das nun mein ganzes Leben lang so weiter geht? Ich würde solche Auseinandersetzungen nochmals kaum ertragen können und mein Mann auch nicht. 

Nun, auch ohne „Kommunikation“ über das Teppichthema hält unsere Beziehung. Auch das ist ein Thema der Tradition, denn die Ehe unserer Eltern  hat ebenfalls „lebenslänglich“ gehalten. Wir haben nicht nur die Vorliebe für einen bestimmten Teppich und bestimmte Muster geerbt, sondern unbewußt auch die jeweiligen vorherrschenden Kommunikationsstile. Transgenerationale Weitergabe von Beziehungsthemen findet bei uns ebenso wie überall in allen Beziehungen auf der ganzen Welt statt. 

In 2005 hatte ich die erste Ausbildung zur Mediatorin. Ihr folgten ab da viele Ausbildungen und sofort Umsetzungsworkshops, in denen ich anderen Menschen beibrachte, wie man mit einander entspannt sprechen kann. 

Die Kinder lernen dies in den Schulen heute in ähnlicher Form. Damals bei uns war das noch nicht so. Bei unseren eignen Kindern übrigens auch noch nicht. 

Mein Mann war seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn immer in unternehmensberaterischen Gruppencoachings mit Selbsterfahrungselementen. Er ist der geborene Mediator und kann einfach sehr charmant reden und seine Dinge ohne großen Aufwand erreichen. 

Was er sagt, hat Hand und Fuß und er muss nie große Überzeugungsarbeit leisten, um das durchzusetzen, was ihm wichtig ist. 

Ich war es ebenfalls gewohnt, meinen Willen zu bekommen und durchzusetzen. 

 

Natürlich hat das Ganze auch mit Macht zu tun und mit der Auseinandersetzung mit diesem Thema innerhalb der Beziehung. 

Wir führen eine Beziehung auf Augenhöhe. Und doch ging es damals beim Teppich unbewusst sicherlich auch um Macht und Machtverhältnisse. 

Wir haben alle noch unser klassisches Rollenbild im Kopf und im Herz. Vielmehr noch ist es tief transgenerational verankert in unserem Unterbewußtsein und ich befürchte, dass es auch im kollektiven Bewußtsein noch stark vorhanden ist und uns mit prägt.

 

Jason Pfahl on unsplash

Wir werden bewusst und unbewusst beeinflusst von vielen verschiedenen Quellen und Faktoren. Sich mit dem Thema der Macht in der Beziehung auseinander zu setzen, kann da sehr hilfreich sein. Deshalb habe ich dazu mittlerweile eine Masterclass entwickelt, die demnächst an den Start geht. 

Wir haben alle unsere Lernfelder mit einander. Das macht das Leben in Beziehung spannend. 

Ich habe meinen Mann bis heute nicht mehr auf die Teppichaktion angesprochen. Doch werde es heute gleich nachholen. Bin gespannt, was er dazu sagt. 
Denn:

Für gute Gespräche, vor allem solche, die die Paarbiografie aufarbeiten, ist es nie zu spät! 

Heute reden wir natürlich mit einander über alles. Nicht immer sofort, sondern oftmals im Nachklang auf der Metaebene. 

Wir haben damals beide unsere Herkunftsfamilien voll im Gepäck gehabt, als wir heirateten.

Wir haben nichts hinterfragt, sondern wollten unbewußt die eigenen Familientraditionen beibehalten. Das haben wir auch getan, denn beide Traditionen haben bei uns einen Platz im Leben gefunden. Alles, was uns aus beiden Traditionen wichtig war, haben wir rüber gerettet in unser gemeinsames Familienleben. 

Wenn wir es uns bewußt machen, dass wir geprägt sind von unserer Herkunftsfamilie, ist schon ein Großteil der Thematik entschärft. 

Wir hätten damals besser daran getan, die Möbel komplett zu verkaufen und uns komplett im eigenen Stil neu einzurichten. 

Transgenerationales, verbindend oder trennend?

Nicht nur am Teppich hing die Familientradition. Ich konnte es an allen Ecken spüren, dass da wichtige Themen auf uns warteten.

Ach, hätten wir nur früher gewußt, wie wir mit diesen Themen umgehen können! Das hätte uns so viele Schwierigkeiten mit einander erleichtert oder sie sogar vermieden!

Transgenerationale Themen hindern uns daran, diese alten Dinge aufzulösen, die uns in eine ungesunde Starre bringen. Sowohl mein Mann als auch ich waren beim Teppichkauf in ebendieser Starre. 

Die Verbundenheit über die Generationen hinaus ist wichtig, doch oftmals auch problematisch. Dies gilt vor allem dann, wenn man sie sich nicht bewußt macht, sondern einfach nur eine Energie in sich spürt, die einen schon fast zwanghaft zu einem Verhalten nötigt. Tunnelblick nenne ich das. Mein Mann und ich waren damals in ebendiesem Tunnel drin, ohne es zu wissen.

Damals fochten wir einen Kampf aus, der eigentlich nicht unser Kampf war. Es war ein Stellvertreterkrieg an den Teppichrollen.

Wir kämpften ums Überleben unserer Familientraditionen. 

…und heute?

Wie haben mein Mann und ich es also nun geschafft, geschmackvoll neu eingerichtet zu sein? Erst viele Jahrzehnte später.

 

inside weather on unslash

Wir haben in den ersten Ehejahrzehnten eh nur in gebrauchten Möbeln die uns geschenkt würden, gelebt. Denn es war uns beiden wichtiger, dass wir keine Schnappatmung bekommen, wenn unsere vier Kinder plus Freundesschar auf den Sofas herum tobten oder mit den Rutschautos gegen das Gelsenkirchener-Barock-Schrankwandmonster fuhren.

Wir wechselten lieber schnell mal die Sofagarnituren aus, wenn wir wieder was geschenkt bekommen konnten, als uns über eine hochwertige, versaute Ledercouch zu ärgern, die noch abzuzahlen gewesen wäre…

Als die Kinder groß und vernünftig waren, fuhr ich mit meiner Freundin los und ließ mich von ihr im Hinblick auf die Anschaffung unserer neuwertigen Möbel beraten. Sie führte mich sofort  in die richtigen Geschäfte und rasch konnten wir eine Vorauswahl treffen. 

Ich fuhr dann mit meinem Mann nur noch in die Läden, in denen was war, zu dem ich zumindest schon mal ja sagen konnte. Er suchte dann zwischen zwei oder drei Möglichkeiten entweder aus oder machte eigene Vorschläge. 

 

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So gab es nie wieder Streit, zumal wir bei den Dingen, die wir komplett neu kaufen, meistens einer Meinung sind. Gibt es Meinungsverschiedenheiten, so hören wir uns die Argumente gegenseitig an und lassen sie auf uns wirken. Dann wird erneut gesprochen. Auf jeden Fall gibt es kaum noch Beef wegen des Kaufes von irgendwelchen Dingen. 

Heute genießen wir es beide, gemeinsam unterwegs zu sein. 

Wir lassen uns spontan inspirieren und suchen nicht mehr bewußt nach irgendwas Bestimmtem. Das ist viel schöner und erholsamer. 

Und:
Teppiche gibt es heute ebensowenig bei uns wie Teppichboden. 

Der Teppichboden ist schon vor vielen Jahren dem Steinboden und geölten schönen robusten Eichendielen gewichen. 

So endet hier mein Bericht:

“Wenn sie nicht gestorben sind…”

 

Liebe Grüße und bis zum nächsten Artikel,
Deine Evelyn

 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Uli Pauer

    Der Teppichkrimi! Das ist eine sehr spannende, lehrreiche und interessante Geschichte, vor allem was die übernommenen Vorstellungen aus den Herkunftsfamilien betrifft.
    Auch was du betreffend geschenkter Möbel und Kinder sagst, stimmt total. Da ist es besser, nicht das weiße Designer-Sofa zu kaufen, denn sonst ist Streit schon vorprogrammiert.
    LG – Uli

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